Am Sonntag um 21.45 Uhr zeigte 3Sat den Film „Meine keine Familie„. Den Film gibt es noch 2 Wochen in der Mediathek zu sehen. Da meine Stimmung Sonntag abend sowieso nicht so entspannt ist, der Montag klopft im Gehirn schon wieder an, konnte ich die Schwere des Films einigermassen gut ertragen. Kurz zum Inhalt:
Im Jahr 1970 gründete Otto Muehl in seiner Wiener Wohnung eine Kommune, die durch ihre Radikalität über die Kunstszene hinaus Bekanntheit erlangte. 1972 erwarben die Kommunarden das letzte bewohnbare Haus eines verlassenen Gutshofes auf der Parndorfer Heide – den Friedrichshof.
Dieser wurde innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten zum Zentrum eines internationalen Netzwerkes von über 20 Stadtgruppen ausgebaut. In den assoziierten Kommunen praktizierten zeitweise über 600 Menschen in halb Europa ein radikal – utopisches Leben nach den Prinzipen: „Selbstdarstellung, gemeinsames Eigentum, freie Sexualität ohne feste Paarbeziehungen, gemeinsame Arbeit und Produktion, kollektives Kinderaufwachsen und direkte Demokratie“.
Zweierbeziehungen und Kleinfamilien wurden also abgeschafft. Die persönlichen Auswirkungen, vor allem auf die Kinder innerhalb der Kommune, sind krass. Regie führte Paul-Julien Robert, der als Kind in die Kommune hineingeboren wurde und dort aufwuchs. Eindrucksvoll beschreibt er aus heutiger Sicht, wie die Kommune sein Leben als Kind negativ beeinflusste. Welche Probleme sich aus der Kindheit bis heute daraus ergeben. Selbstwertgefühl. Andere Menschen wirklich zu lieben. Wie schwierig ihm die ersten Partnerschaften gefallen sind. Wie lange es dauerte, bis er seine Meinung äussern und auch dazu stehen konnte. Insgesamt ein sehr eindrucksvoller Film. Paul-Julien Robert beschreibt die Beweggründe für den Film so:
Vor 6 Jahren wollte ich mehr über meinen verstorbenen juristischen Vater erfahren. Der Beginn dieser Recherche hat mich auf eine Reise geschickt, in der ich viel über mich, den Jungen aus dem Archivmaterial, erfahren habe. In unserer Kindheit wurde jeder Tag unseres Lebens gefilmt und archiviert. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, Vergessenes aus meiner Vergangenheit wieder zu entdecken.
Diese Beschäftigung führte zu einer 4-jährigen Auseinandersetzung mit meinen Eltern und vielen anderen Kindern, mit denen ich in der Kommune aufgewachsen bin. „MEINE KEINE FAMILIE“ ist ein Film über Familie, Systeme und Familie als System.
Aufwachsen in der Kommune
Natürlich gab es zu fast allen Belangen des täglichen Lebens ein Manifest. So auch bei der Kindererziehung, die ihren Ausdruck in der Gegenüberstellung der Kleinfamilien-Gesellschaft (KF) und der Aktionsanalytischen Gesellschaft (AA) fand.
Die Parabel besagte folgendes:
Ein Elternpaar ist allein kaum in der Lage, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen. In der Gruppe sind außer der Mutter alle Gruppenmitglieder für die Betreuung der Kinder verantwortlich. Sie entlasten die Mutter, außerdem hat das Kind die Möglichkeit, zu vielen intensive Beziehungen herzustellen. Nur so erblickt das Kind in der Gruppe eine zweite Mutter, die ihm Geborgenheit und existenzielle Sicherheit verbürgt. So können sie unabhängige, freie, nicht fixierte Menschen werden.
Eine der für mich schlimmsten Szenen (und es gibt sehr viele schlimme Szenen): Die Kinder stehen in der Mitte und Muehl bewertet vor der Kommune, welche Kinder besonders schön gekleidet sind. Am Ende stehen die Kinder nach Schönheit sortiert in einer Reihe. Da kamen mir tatsächlich Tränen in die Augen geschossen. Wer starke Nerven hat und das System der Otto Muehl Kommune verstehen möchte, kann sich den Film für 2 Wochen in der 3Sat Mediathek ansehen.