Getaggt mit: Erziehung

Scheitern. Erziehen. Glücklich scheitern.

Wohnung. Eine Ansammlung von Kinderspielzeug. Dazwischen die letzten verbliebenen Erinnerungsstücke an eine kinderlose Zeit. Gut verstaut und in Sicherheit. Und dann, plötzlich, packt mich der Putzwahn. Von Zeit zu Zeit stehe ich in der Wohnung und habe einen Blick von außen. Als ob ich da gar nicht wohnen würde. Und ich erschrecke.

„Langweilig, mir ist so langweilig“, erwähnt Kind 2 samstags gelangweilt. Nach weiteren Selbstgesprächen, in denen es über die nächste Aktivität entscheidet, schmettert mir ein „Darf ich putzen?“ entgegen. Minuten später stehen wir mit feuchtem Wischtuch, Staubsauger und anderen Utensilien bewaffnet im Kinderzimmer. Uninteressant, wenn man zuerst alle blockierenden Möbel aus dem Weg räumt. So deute ich zumindest den Blick von Kind 2.

Einsatz.

Mit Wischtuch krabbelt Kind 2 auf allen Vieren in die letzten Winkel des Zimmers. Meiner Einschätzung nach lohnen sich Kinder tatsächlich. Kein Winkel zu eng, keine Wollmaus sicher. Die kleinen Hände erwischen noch eine kleine, sich auf der Flucht befindlichen Spinne.

Mit einem „Sauber“ verabschiedet sich die kleine Menschenkehrputzmaschine. Was sich so vorteilhaft und reibungslos liest, bleibt diesmal an mir hängen. Die Feinarbeit. Dazu muss ich anfügen, dass ich eher der Mensch fürs Grobe bin. Staubsaugen? Klappt. Couch wegschieben und darunter staubsaugen fällt hingegen unter Feinarbeit. Außerdem besetzt Kind 2 die Couch schon wieder. Keine Chance.

Im Kinderzimmer wische ich kurz die restlichen Ecken, um anschließend das Finale einzuläuten: Staubsaugen. Fertig. Kein Hexenwerk. Kind 2 kontrolliert meine Arbeit und bestätigt mit einem anerkennenden „So können wir das lassen, Papa. Das reicht jetzt.“ meine Tätigkeit. Überhaupt ist es wichtig. Also die Bestätigung. So geben Kinder einem doch das Gefühl, dass 5 Minuten Wischen und Putzen tatsächlich völlig ausreichend für ihr Wohlbefinden sind.

„Was machst du mit all den Spielsachen hier?“ pfeift es aus Kind 2 heraus. Vor einem Tisch stehend bestaunt es Spielsachen, die wir gemeinsam beim Putzen aus den letzten Winkeln des Zimmers herausgefischt haben. Mir schiesst ein „Das kommt alles weg“ durch den Kopf, was aber gleich durch ein pädagogisches Meisterwerk abgelöst wird, wie nur ich es mir ausdenken kann.

Kinderzimmer-Flohmarkt! Kinderzimmer-Flohmarkt! Alle Kinder, die noch einige ihrer Spielsachen benötigen, können diese jetzt bei mir kaufen. Zu extrem günstigen Preisen. Ist ja Flohmarkt. Handeln erlaubt. Was nicht verkauft wird, wandert in eine Tüte.“

Kind 1 und 2 betreten ungläubig das Kinderzimmer. Ein „Mit echtem Geld?“ Duett wird vorgetragen. Ja sehe ich denn aus, als ob Kinderzimmer-Flohmarkt ein Spiel wäre? Beide Kinder holen ihre Geldbeutel. Der Verkauf startet. Unglaublich, für was Kinder alles Geld zu zahlen bereit sind. Kind 1 kauft ein drei Monate altes eigenes Gemälde, ein paar Autos und das gesammelte Loom Bänder Werk. Kind 2 sichert sich das gebastelte Holz-Schwert, den Glitzer-Nagellack, irgendein gebrochenes Lego-Teil und einiges mehr. Während dem Verkauf lernen wir, wie wichtig es ist, geschickt zu verhandeln. Die Kinder gewinnen. Die Teile gehen alle zwischen 1 und 5 Cent weg.

Der Tisch ist leer. Alles verkauft. In diesem Moment fühle ich mich so gut, wie selten zuvor. Wann bitte hat jemals ein Mensch an einem Flohmarkt wirklich alles verkauft? Ich fühle mich großartig. Fast einzigartig. Bis mir mein Ziel des Flohmarkts in den Kopf kommt. Mein pädagogisches Meisterwerk. Ursprünglich wünschte ich mir doch, dass die Kinder sich auf spielerische Art und Weise lernen von Dingen zu trennen, die total nutzlos sind. Wie interpretierbar das „Nutzlos“ ist, verstehe ich nun viel besser. Mein persönlicher Lerneffekt des Flohmarkts.

Und irgendwie fühlt es sich trotzdem gut an, alles verkauft zu haben und vor einem leeren Tisch zu stehen. Kind 1 und 2 bekommen ihr investiertes Geld natürlich zurück. Ein „Siehst du Papa, habe ich doch gewusst, dass dein Plan nicht funktioniert!“ begleitet mich zur Kaffeemaschine. Ich brauche eine Pause. So ein pädagogisches Meisterwerk ist wirklich anstrengend.

Mein Fazit nach dem Kaffee lautet: Scheitern sollte man mit Freude. Aus Überzeugung. Aus einem guten Gedanken heraus. Scheitern macht Freude und glücklich. Selbstironie inklusive. Ende.

Wie unser Kindergarten zu einem Erzieherinnengarten wurde und warum wir diese Einrichtung verlassen

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann war ich in einem Kindergarten, in dem ich mich sehr wohl fühlte. Einmal in der Woche gingen wir im Wald spazieren und es gab immer etwas zu entdecken. Heute stehen Eltern vor einer unüberschaubaren Anzahl an pädagogischen Konzepten, die hinter einem Kindergarten stehen. Montessori, Waldorf, Waldkindergarten, Freinet, Fröbel, oder darf es doch „nur“ der evangelische oder katholische Kindergarten von nebenan sein?

kinderschuhe auf strasse

Wir gehen dann mal – Foto: realhorax / CC BY-SA 2.0

Warum ich Extreme nicht mag

Zunächst liegt die Entscheidung bei den Eltern. Journelle hat hierzu einen Artikel „Von guten Eltern“ geschrieben, der viele Dinge auf den Punkt bringt. Die Kinder sind gut. Die Eltern sind gut. Und das unabhängig jeglichen pädagogischen Konzepts.

Selbstverständlich sind wir in der heutigen Zeit von allerlei literarischen Ratgebern umgeben, die alle nur das eine möchten: uns Eltern weiterhelfen. Was mich daran stört ist die extreme Positionierung dieser „Bestseller“. Bücher, deren Aussage „Die Kinder sind genau richtig“ ist, findet man eher selten. Dafür existieren verstärkt Titel, die sich mit Kindern im Zusammenhang mit Problemen auseinandersetzen.

Wo bleibt dabei unser Gefühl für unterschiedliche Situationen? Unser tiefstes, innerstes Gefühl, unser Urvertrauen? Wir müssen uns nicht ständig fragen, ob unsere Kinder ok sind, wenn sie sich in einem gewissen Alter verstärkt streiten. Das ist nötig, wenn auch nervenaufreibend. Insofern stoßen wir auf literarischer Ebene bereits auf extreme Positionen und Ansichten.

Verlässt man die Zeilen eines Buches, spiegeln sich die Extreme in unserem Alltag wider. Sonst würde es ja die Ratgeber nicht geben ;) Wir haben uns vor einigen Jahren bewusst dazu entschieden, dass Kind 1 und 2 in ein Montessori Kinderhaus gehen. Ich mochte den ursprünglichen Ansatz Maria Montessoris, der da lautet:

„Hilf mir, es selbst zu tun.“

Wunderbar, denn das beinhaltet eben auch, dass Kuchen in einem Ofen gebacken wird, der heiß ist. Ein Teewasser ist ebenfalls kochend heiß. Ein Messer ist scharf. Wenn die Kinder ihr Bügelperlen-Werk bügeln, dann ist das Bügeleisen? Richtig: heiß. Das finde ich toll. Patricia hat hierzu den schönen Artikel „Messer, Gabel, Schere, Licht – sind für kleine Kinder“ geschrieben, der alles aussagt. Ich möchte meinen Kindern etwas zutrauen und ihnen Vertrauen entgegenbringen.

Doch zurück zum Kinderhaus und zu meiner Abneigung gegenüber Extremen aller Art. Das Kinderhaus ist eine Elterninitiative. Strukturell gibt es einen eingetragenen Verein und die Eltern zahlen einen Mitgliedsbeitrag. Weiterhin gibt es Mitglieder, die keine Kinder im Kinderhaus haben, den Verein aber finanziell weiterhin unterstützen. Vier Vorstände und der Elternbeirat ermöglichen den Austausch zwischen Eltern und Erzieherinnen. Natürlich darf man mit den Erzieherinnen auch einen Termin vereinbaren und bestimmte Punkte ansprechen. Rein rechtlich ist es so, dass alle Eltern und Mitglieder des Vereins, also alle Beitragszahler, die Erzieherinnen angestellt haben. Hinzu kommt eine Förderung der Stadt.

Vom Kindergarten zum Erzieherinnengarten

Anfangs war dieser Kindergarten genau die richtige Wahl. Der Umgang miteinander beruhte auf Respekt und auch mal auf „in Ruhe lassen“, wenn man sich mit jemandem nicht so gut verstand. Die Kinder fühlten sich sehr wohl, was wir daran merkten, dass Kind 1 und 2 nachmittags immer die tollsten Geschichten erzählten.

Nach einigen Jahren trat eine schleichende Veränderung ein, die an keinem bestimmten Datum festgemacht werden kann. Die Veränderung fand auf vielen Ebenen statt.

Eine Dimension war, dass meine Kinder häufiger davon berichteten, dass es neue Regeln im Kindergarten gab. Die Regeln kamen über Monate verteilt und wurden immer mehr. Für mich ist ein verstärktes Auftreten von Regeln ein Anzeichen von Problemen innerhalb der Organisation eines Kindergartens. Vor Kurzem saß Kind 1 am Tisch und erzählte, dass er nun während dem Mittagessen im Kindergarten nicht mehr auf die Toilette darf. Mir ist bewusst, dass Kinder viele Phasen des Tages nutzen, um ihrem kindlichen Spieltrieb nachzukommen. Turnen statt Mittagessen eben. Alles nichts dramatisches. Dass Kind 1 allerdings mit einem Tropfen Pipi in der Hose vor mir stand und sich an die Regel gehalten hatte, das gab mir sehr zu denken. Kind 1 fühlte sich unsicher.

Die andere Dimension war pädagogischer Art. Über Monate hinweg wurde der Abstand zwischen Erzieherinnen und Eltern immer größer. Zumindest für Teile der Elternschaft. Andere Eltern wiederum hatten ein engeres Verhältnis zu den Erzieherinnen als jemals zuvor. Auch das wäre nicht problematisch gewesen, hätte dieser Umstand nicht zu einer Lagerbildung geführt. Die eine Seite redete ständig davon, wie schlecht es den Erzieherinnen ginge und dass sie kein Vertrauen in ihre Arbeit von Seiten einiger Eltern verspüren würden. Die andere Seite wollte einfach nur im gleichen Boot sitzen und die gleichen Informationen haben. Oder auch einfach nur Fragen beantwortet wissen, wie z.B.: „Warum dürfen Kinder während dem Mittagessen nicht auf die Toilette? Und was kann Kind 1 tun, wenn es tatsächlich pinkeln muss?“

Wie dem auch sei, die Lagerspaltung spitzte sich zu. Wer so eine Situation schon einmal erlebt hat, der weiss, wie schwer es ist, den Weg zurück in ein freies, positives Denken zu finden. Misstrauen auf allen Ebenen ist keine gute Grundlage. Kein Tag verging, an dem hinter einer harmlosen Elternunterhaltung eine Verschwörung vermutet wurde. Die Kombination beider Ebenen führte dazu, dass die Situation irgendwann mit Hilfe einer Mediatorin gelöst werden sollte. Natürlich begrüßte ich den Wunsch, die Kluft verkleinern und somit die Probleme aus der Welt schaffen zu wollen. Das einzig Verrückte an der Situation:

Im Mittelpunkt aller Gespräche standen die Erzieherinnen und nicht die Kinder.

Zu welchem Zweck existiert ein Kindergarten? Man diskutierte über verlorenes Vertrauen, ohne konkrete Beispiele zu nennen. Man diskutierte über Gefühle. Vielleicht kommt hier auch mein rationales Denken zu stark durch, aber ich gehe da eher pragmatisch ran. Es gibt Probleme? Lass uns darüber sprechen. Aber bitte konkret. Zum Beispiel so:

„Ich war enttäuscht, dass du mit diesem oder jenem Problem nicht direkt zu mir gekommen bist.“

Das wäre eine gute und vor allem lösbare Aussage. Dagegen stehen getroffene Aussagen wie z.B.:

„Du hast das Vertrauen missbraucht, weil du jemanden kennst, mit dem wir nicht so gut zurecht kommen.“

Das ist dann eher eine Aussage fürs Klo. Spülen. Danke. Bitte. Persönliche Befindlichkeiten sind einer sachlichen Diskussion nicht dienlich. Nebenbei sei nur erwähnt, dass es keine pädagogische Aufgabe ist zu schauen, mit wem ich befeundet bin oder nicht. Liebe Erzieherinnen, um euch daran zu erinnern: ihr macht eine sehr wertvolle Aufgabe und als Vater vertraue ich euch das Wertvollste in meinem Leben an: Kind 1 und 2. Das ist unsere Basis. Wie kann man da von fehlendem Vertrauen sprechen? Und ebenfalls zur Erinnerung: es ist NICHT eure Aufgabe mich als Vater pädagogisch zu betreuen.

Natürlich kommen Pädagogen gerne mit dem Sender-Empfänger Modell. Zu diesem Modell wird immer gegriffen, wenn man Missverständnisse aus der Welt schaffen möchte. Liebe Erzieherinnen, es ist nicht vorteilhaft, sich über ein störungs,- und interpretationsanfälliges Modell eine weisse Weste anzuziehen. Wenn, dann passieren auf allen Seiten Fehler und nicht nur auf einer. Wieso fällt es Pädagogen so schwer sich für etwas zu entschuldigen? Ich habe das gemacht. Ich habe mich entschuldigt. Und ich fühlte mich gut danach. Entschuldigungen von Pädagogen basieren eher auf der Darlegung des Sender-Empfänger Modells und wo es dort zu Fehlinterpretationen kam. Versteht ihr? Eine einfache Entschuldigung reicht vollkommen ;)

Lieber Erzieherinnengarten, wir gehen!

Inzwischen haben diese Vorgänge im Kindergarten längst die Kinder erreicht. Ein weiterer Punkt, der uns unsere Entscheidung leichter machte. Wir haben uns wochenlang vor der Entscheidung gedrückt und haben insgeheim doch auf eine Verbesserung der Situation und des Miteinanders gehofft. Doch der Punkt ist gekommen, euch allen Tschüß zu sagen. Die Zeit bei euch war wunderbar und ich hoffe, dass ihr den neuen Weg so umsetzen könnt, wie ihr euch das vorstellt. Weniger Mitspracherecht für Eltern, weg von einer Elterninitiative hin zu einer Elite-Montessori Einrichtung. Mit SUV und sportlichen Stehfahrzeugen aus Stuttgarter Produktion vor der Tür. Dies sage ich nicht aus einem Neidgedanken heraus, sondern möchte vielmehr an die erste Kindereinrichtung Maria Montessoris erinnern:

„Maria Montessori gründete 1907 in San Lorenzo, einem Armenviertel von Rom, die erste Casa dei Bambini („Kinderhaus“), in dem zum Teil verwahrloste Kinder der sozialen Unterschicht betreut wurden.[1] Die Kinder lernten hier mit großem Erfolg binnen kürzester Zeit Rechnen und Schreiben. Hier verwirklichte Montessori erstmals ihre Vorstellungen von Bildung und erweiterte ihre Methode.“

Die Entwicklung hin zu höheren Beitragssätzen und die elitärere Ausrichtung passen einfach nicht in mein Bild, das Maria Montessori im Sinn hatte. Ich möchte einen Kindergarten, in dem jedes Kind gleich viel wert ist. Einen Kindergarten, in dem Kinder aller sozialer Herkünfte und Nationalitäten gemeinsam sein dürfen. Ein Kindergarten, in dem Menschen mit und ohne Behinderung sein dürfen. Einfach nur Sein. Und wenn euch immer noch nicht klar ist, was ich eigentlich möchte, so kann ich euch abschließend nur mit einem Montessori-Zitat eine schöne Weiterreise für den Weg des Kindergartens wünschen:

„Der Weg auf dem die Schwachen sich stärken, ist der gleiche wie der, auf dem die Starken sich vervollkommnen.“