Irgendwann vor uns richteten sich die Menschen nach und nach auf. Langsam, ganz langsam. Wie ich morgens, oder noch langsamer. Vor allem am Wochenende bilde ich mir ein, die Evolution an mir selbst veranschaulichen zu können. Beispiel Essensversorgung. Diese hat sich im Laufe der Jahrhunderte dramatisch vereinfacht. Meine Anstrengung besteht darin in den Supermarkt zu fahren und einzukaufen. Mit dem Auto. So fühlen wir uns manchmal im Großstadtdschungel gefangen. Abwechslung.
Kind 1 und ich starten auf unsere Natur Expedition, was sich in der Großstadt per se etwas schwieriger gestaltet. Mit Rucksäcken und lebensnotwendigen Getränken verlassen wir das Haus und gehen Richtung Wald. Während dem ersten Anstieg unterhalten wir uns, wie es wohl früher war, als es noch keine Supermärkte, keine Autos und nichts gab. Ausser Menschen und Tiere. Wir sprechen über eine Zeit, in der es keine 100 Gramm Lyoner gab, sondern 150 Kilogramm Lyoner. Am Stück.
Wir stiefeln weiter durch eine prärieartige Landschaft und entdecken einen Feldhasen. „Den haben die Menschen früher bestimmt auch gegessen, oder Papa?“ Sicherlich. „Und Rehe? Haben Menschen früher auch Rehe gegessen?“ Sicherlich. Auf unserem Weg durch die Prärie begegnen wir allerhand Essbarem. Kind 1 klettert an einem Kirschbaum hoch und wirft die reifen Kirschen nach unten. Ich fange und sammle unseren wertvollen Proviant.
„Ich habe ein Schwein gesehen, Papa! Ein Schwein, da drüben!“ Ich halte das für ausgeschlossen, aber ermuntere weiter, das Schwein nicht aus den Augen zu lassen. Kind 1 steigt vom Baum herunter und möchte wissen, wie man früher Tiere gefangen hat. Wir diskutieren diverse Fangmethoden und bei Pfeil und Bogen fangen die Augen zu glänzen an. Wir machen uns auf die Suche nach ein paar Haselnussstöcken. Mit Schnitzmessern bearbeiten wir die Stöcke und schnitzen die Kerben für die Schnur. Kleinstarbeit. Kind 1 hält den Bogen auf Spannung, während ich den Knoten in die Schnur mache. Fertig ist der Bogen. Danach sind die Pfeile an der Reihe. Der geneigte Stadtindianer will bei Verfehlen der Beute ja nicht immer einem einzigen Pfeil nachlaufen.
Nach der Fertigstellung ist Techniktraining. Bogen in die Hand, Pfeil eingelegt, gespannt und dann passiert es: der Pfeil landet fünf Zentimeter vor den Füßen. Kind 1 zeigt mir jedoch gleich die feinmotorischen Fähigkeiten, denn bereits der nächste Versuch ist ein Volltreffer. Der Pfeil fliegt und fliegt und fliegt.
Da sind sie wieder, die glänzenden Augen. Erfolgserlebnisse motivieren und lassen uns manchmal auch etwas übermütig werden. So beginnen wir uns in der Prärielandschaft auf dem Bauch vorwärts zu bewegen. Immer weiter den Berg hoch. Die zu jagenden Tiere dürfen uns weder hören noch sehen. Wir robben einen um den anderen Meter voran, gut getarnt durch die gemähte Wiese. Uns sieht niemand. Niemals. Wir sind Gras. Da, vor uns ein Vogel. Kind 1 springt hoch, legt den Pfeil ein, spannt den Bogen und schiesst. Der imaginäre Vogel fliegt natürlich lange zuvor in Sicherheit.
Der Streifzug geht weiter. Wir erlegen ein paar Walderdbeeren, die am Rande der Prärie wachsen. Die Beute wandert in die inzwischen stattlich gefüllte Proviantbox. Kurz darauf finden wir einen Hochsitz, der laut Kind 1 den Menschen früher als Jagdversteck gedient haben muss. Auf den Spuren unserer Vorfahren klettern wir die Sprossen empor und essen unseren gesammelten Proviant auf. Kirschen, Erdbeeren und Kekse. Letztere müssen am Anfang unserer Expedition ins Gepäck geraten sein. Während wir hier oben sitzen, hören wir unter uns Kinderstimmen. Der Hochsitz wandelt sich zur Spielplatz-Hängebrücke und die karge Prärielandschaft wandelt sich zu einer satten, grünen Wiese. Satt und erschöpft von der Jagd machen wir uns auf den Heimweg. Die letzten Indianer im Großstadtdschungel.