Wiederholungen. Noch einmal Federball spielen. Noch einmal den Nagel ins Brett hämmern. Noch einmal das gleiche Spiel spielen, bitte bitte bitte. Können wir das Buch noch einmal lesen? Wenn Kinder etwas in meinem Leben verändert haben, dann dass ich am Tag ungefähr 20 Déjà-vus habe. Kindliche Wiederholungen. Mich grüßt nicht täglich das Murmeltier, sondern meist das gleiche Buch, das gleiche Lied, die gleiche handwerkliche Aufgabe oder das gleiche Ausmalbild. Immer und immer wieder.
Zu Schulzeiten habe ich versucht durch ständiges Wiederholen Inhalte auswendig zu lernen, um als Gegenleistung eine gute Note eines Lehrkörpers zu erhalten. Das hat selten funktioniert, woran natürlich immer der Lehrkörper Schuld hatte. IMMER. Auch eine Art der Wiederholung. Der Unterschied ist keine bahnbrechende Erkenntnis, aber doch etwas, das einem niemand vor der Familienplanung verrät: kleine Kinder lernen und begreifen durch Wiederholungen. Erwachsene verlernen durch Wiederholungen. Erwachsene verlernen durch Wiederholungen aufmerksam zu bleiben. Zumindest geht das mir so ;)
Im Unterschied zum kinderlosen Leben verbringe ich inzwischen so viel Zeit mit Wiederholungen, dass mein Tag nur gefühlte acht Stunden hat. Die restlichen Stunden bestehen aus kindlichen Wiederholungen. Theoretisch könnte ich alle unsere Kinderbücher Wort für Wort wiedergeben. Mit korrekter Betonung und Zeichensetzung versteht sich. Hebt sich die Stimme bei einer Frage nicht, registrieren die Kinder das sofort und ermahnen mich:
„Papa, das ist eine Frage, also musst du das auch wie eine Frage lesen.“
Ihr kennt diese Situationen. Das Leben, ein einziger Loop der kindlichen Freude. Als Erwachsener wird man irgendwann wiederholungsresistent. Zumindest ich. Die kleinen Antikörper (Anm.: liebe Kinder, verzeiht mir diese Formulierung, aber sie passt so gut) injizieren mir so häufig Wiederholungen, bis ich immun bin. Mir doch egal, wenn ich zum hundertsten Mal „Der Grüffelo“ vorlese. Ich nehme das nicht mehr auf inhaltlicher Ebene wahr, sondern geniesse die gemeinsame Zeit mit den Kindern. Dass kindliche und erwachsene Wiederholungen in der Regel gegensätzlich zueinander verlaufen hat mir übrigens auch niemand verraten. Dass sich kindliche Wiederholungen in meinen Alltag einbrennen auch nicht. So kommen mir in den unmöglichsten Situationen Sprüche aus Kinderbüchern in den Kopf. Ich sitze in der U-Bahn und mir gegenüber sitzt eine Frau mit künstlichen, aufgeklebten und top gestylten Fingernägeln. Und meine Gedanken erinnern sich an den Grüffelo:
„… Sie hat schreckliche Hauer und schreckliche Klauen und schreckliche Zähne, um Tiere zu kauen …“
Hoffentlich sieht man mir das nicht an.
Das Positive an Wiederholungen
Auch für mich sind Wiederholungen wichtig und durchaus positiv. Die Vorteile zeigen sich am Beispiel „Buch Vorlesen“. Bücher helfen mir bei den täglichen Kurzpausen. Wer kann zu einer kleinen Ruhephase auf der Couch oder im Bett schon „Nein“ sagen? Ich nicht. Einfach mal die Füße hochlegen und altbekannte Bücher vorlesen. Links ein Kind, rechts ein Kind. Ein wunderbarer Moment der Wiederholung. Meist ist die Situation so entspannend, dass mir während dem Vorlesen kurz die Augen zufallen. Aus dem Sekundenschlaf weckt mich meist ein:
„Papa, aufwachen und weiterlesen, jetzt kommt der Grüffelo doch noch bei der Eule vorbei und dann beim Fuchs. Am Ende kommt er zur Maus. Da wird es dann lustig, weil der Mond und die Maus und der Schatten…“
Wiederholungen beruhigen.
Kinder sind Siegertypen
Ein Tag im Leben mit Kindern lässt sich oberflächlich in kindliche und erwachsene „Ich möchte…“ Wiederholungen unterteilen. Denn natürlich habe auch ich tägliche Bitten und Wünsche an Kind 1 und 2. Ein kleiner Auszug: Zähne putzen, Tisch decken, Kaninchen füttern, Kinderzimmer aufräumen, Kleider aufräumen. Wie empfinden Kind 1 und 2 meine ständigen Wiederholungen? Haben sie auch eine Art Immunität entwickelt? Die morgendliche Schimpftirade von Kind 2 vor dem Zähneputzen scheint das zu widerlegen. Beim „Kleider aufräumen“ zeigt Kind 1 klare Kante und schmeisst sämtliche Klamotten irgendwo in der Wohnung umher. So finden sich Monate später schon verloren geglaubte Socken, für deren Verschwinden die Waschmaschine verantwortlich gemacht wurde. Passiert.
Kind 1 und 2 gehen impulsiver mit meinen Wiederholungen um. Beide ziehen ihr Ding durch, während ich mich deutlich früher aus „vernünftigen“ Gründen geschlagen gebe. Kinder aber sind Siegertypen. In einem gewissen Alter geht es ums Gewinnen: auch und vielleicht sogar gerade bei der Verweigerung das Kinderzimmer aufzuräumen.
Wie die für Kinder „unangenehmeren“ Wiederholungen in den Alltag integriert werden können, ist eine sehr individuelle Entscheidung. Ich glaube zum Beispiel fest daran, dass Kinder Aufgaben gerne übernehmen. Wir versuchen lediglich für eine gewisse Regelmässigkeit zu sorgen. Wenn sich Kind 2 weigert das Zimmer aufzuräumen, dann hätte ich das Gefühl, dass ich durch Schimpfen dem Thema Aufräumen zu viel Bedeutung zukommen lassen würde. Dann wird eben eine Nacht in einem unaufgeräumten Zimmer geschlafen. Am nächsten Tag lässt sich Kind 2 meist leichter motivieren, Ordnung in das Chaos zu bringen.
Man, geht es mir gut. Ich lese mir den Artikel jetzt noch mal durch. Wiederholung. Und mit Sicherheit werde ich auch all den Schulstoff, den ich damals nicht gelernt, sondern abgeschrieben habe, mit den Kindern ein zweites Mal lernen müssen. Zur Strafe. Pythagoras wird sich freuen. Nicht.
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