Wir als Eltern sind ein seltsames Volk. Wir machen uns Gedanken. Sehr viele Gedanken. Und manchmal zu viele Gedanken. Von der Wahl des richtigen Kindergartens bis hin zur geeigneten Schule. Wir finden nichts schöner, als die kleinen Menschen zu unterstützen, sie zu begleiten, ihnen Entscheidungen abzunehmen, wo sie selbst noch nicht fähig sind, Entscheidungen zu treffen. Wir handeln rein intuitiv. Wir sehen Kind 1 und 2, sehen ihre herrlich unterschiedlichen und gleich wertvollen Charaktere und überlegen uns, welches zum Beispiel die geeignete Schule sein könnte. Eine Luxusdebatte. Aber eine, die geführt werden musste.
So kam Kind 1 in eine Schule, in der sehr viel wöchentliche Freiarbeit stattfindet. Eine Schule, in der auf die individuellen Bedürfnisse von Kindern stärker eingegangen wird. Eine Schule, in der nur 4 Stunden wöchentlich tatsächlicher Klassenunterricht unter Gleichaltrigen stattfindet. Eine Schule, in der die „Erstis“ bis „Viertis“ einen Großteil der Woche gemeinsam in der Gruppe lernen. Eine Schule, in der die „Erstis“ sehr schnell die Schimpfwörter der „Viertis“ übernehmen. Eine Schule, in der Religion unterrichtet wird. Was, Religion? Die einzige Religion, die ich kenne ist OMG.
In der Grundschule ist das Fach Religion durch das Grundgesetz vorgeschrieben, Ethik hingegen nicht. Mir sind Religionen sehr sehr egal. Mir sind Menschen wichtig. Wenn Menschen in einer Religion Halt finden, dann ist das ok, wenn nicht, ist das ebenso ok. Kein Mensch ist besser oder schlechter. Wir alle sind individuell.
Die Individualität von Kind 1 und ich fahren gemeinsam Bahn. Wie jeden Morgen. Das ist eine hervorragende, qualitativ sehr wertvolle Zeit für uns. Kind 1 ist früh noch ansprechbar und voller Tatendrang. So erfahre ich während unseres morgendlichen Bahnritts von der Grausamkeit der Bibel-Geschichten, die in der Schule vorgelesen und besprochen werden. Aus erster Hand. Aus der Sicht und Wahrnehmung eines Kindes, das sehr sensibel ist und emotionale Stimmungen (ob gut oder schlecht) sofort erfasst. Das ist eine unglaublich große Gabe und kann gleichzeitig eine sehr große Last sein.
„Und weisst du Papa, am Ende waren alle tot. Das ist grausam. Und deswegen mag ich diese Geschichten nicht.“ Punkt. Nun muss ich gestehen, dass ich zwar eine Grundausbildung in Religion habe, aber die Geschichten der Bibel nicht alle im Detail kenne. Doch mich überrascht es nicht, dass Kind 1 der Umgang mit diesen Geschichten schwer fällt, weil: Ein bisschen gemein gibt es nicht. Ein bisschen tot ebenso wenig. Und ein kleines bisschen jemanden erschlagen geht sowieso nicht.
Wir unterhalten uns also über die Bibel. Ein spannendes Thema, genau richtig für eine Bahnfahrt am Morgen. Wir wägen ab, ob die grausamen Texte auf wahren Begebenheiten beruhen oder nicht. Natürlich habe ich keine Antwort darauf. Wer hat die schon? Kind 1 fängt an zu zweifeln. An mir. Denn die Schule, also besser gesagt die Lehrerin weiss doch alles. „Papa, du hast doch gesagt, dass Gott überall wohnt, also in mir, in anderen Menschen, im Wasser, in der U-Bahn, in einer Blume, also überall.“ Ich fühle mich überführt. Religion finde ich nicht so toll, aber Gott als Vorstellung finde ich ok. „Ich will aber nicht, dass Gott in mir wohnt, der ist nämlich überhaupt nicht lustig! Der ist gemein und lacht nie!“
Synapsenkollaps. Gefühlte Minuten fällt mir keine plausible Antwort ein, die die Aussage von Kind 1 widerlegen könnte. Die Bibel ist nicht lustig. An der ein oder anderen Stelle steht zwar das Wort „Freude“, das war es dann aber auch. Und was macht ein Atheist, wenn er herausfinden möchte, ob Gott humorvoll ist? Richtig, er befragt den digitalen Gott und Alleswisser:
„Ok Google, wann hat Gott das letzte Mal gelacht?“
Googles Antwort ist ein Liedtext von Kay One.
„Ok Google, hat Gott Humor?“
Googles Antwort sind witzige Siri Sprüche, Chuck Norris und eine Seite mit „deine Mudda“ Witzen.
Endstation. Wir steigen aus. Das letzte Stück zur Schule legen wir zu Fuß zurück. Als wir uns verabschieden ruft mir Kind 1 ein „Papa, wenn Gott lustig wäre, dann würde er Schweine fliegen lassen und Mundharmonika spielen“ hinterher. Mit einem leiser werdenden „Malst du mir bitte ein Buch, in dem Gott lustig ist?“ mache ich mich auf den Weg. Und während dem Laufen klopft ein dauerhaftes „Warum eigentlich nicht?“ an. Diese Klopfen ist nun seit 4 Wochen in meinem Kopf. Mal sehen.