Hurra, wir sind auf der Fahrt in unseren ersten gemeinsamen Urlaub. Camping. Mit Zelt. Mit Kindern. Ohne Mama. Kind 1 weint, als wir mit dem Auto aufbrechen. Bevor das Mutterherz die Autotür aufreisst fahren wir schnell los und hören kurz darauf Rotz ´n´Roll Radio. Eine wunderbare CD, bei der alle lauthals mitsingen.
90 Minuten später passieren wir die Schranke des Campingplatzes und fahren zur Zeltwiese. Die Temperatur sagt zu heiß, um ein Zelt aufzubauen. Kind 1 und 2 behaupten hingegen, es sei viel zu kalt. So stecken wir lange Stäbe zusammen. Das Zelt ist größer als gedacht. Ich gebe mich hilflos und zwei Männer eilen herbei, um mir beim Aufstellen zu helfen. Das funktioniert auf einem Campingplatz zum Glück immer. Man hilft sich und das ist gut. Ich hänge die beiden Schlafkabinen ein, hämmere die Heringe in den trockenen Boden. Die Kinder pumpen die Schlafmatratzen auf. Alles rein ins Zelt und fertig. Rekordverdächtige 55 Minuten später liegen wir am See rennen wir in einen grünlichen See mit Rotfeder-Population.
Wasser ist das Element. Die Kinder schwimmen und tauchen stundenlang. Von einem Steg aus zaubern wir Kunstsprünge ins Wasser. Kind 1 bevorzugt „Arschbombe“ und Salto. Doch wir haben auch unbekanntere Sprünge im Repertoire. Kind 2 steht gerne rückwärts zum Wasser und lässt sich dann mit einem lauten „Aschtung, Stinkender Schweinefurz“ nach hinten fallen. Diesen Sprung gibt es auch in der Ausführung „Doppelter stinkender Schweinefurz“. Das wissen nun auch die anderen Badegäste.
Gewitter, Gewitter
Dunkle Wolken ziehen auf. Wir essen zu Abend, als plötzlich ein heftiger Regenschauer niederprasselt. Nach 10 Minuten ist alles überstanden. Wir planen den Fischgeruch des Sees von unseren Körpern zu waschen und gehen Richtung Waschhaus. Dusche für alle. Beim anschließenden Zähneputzen nehmen wir ein lautes Geräusch wahr. Oh nein, das Gewitter ist zurück. Mit Bademänteln bekleidet rennen wir durch den Regen Richtung Zelt zurück. Nass stehen wir im Zelt. Ein 1×2 Meter großes Fleckchen Erde für drei. Fast schon großzügig.
Der große Knall
In der Nähe schlägt ein Blitz ein. Der dazugehörige fast synchrone Donner ist unglaublich laut. Durch das Fenster des Zeltes beobachten wir ein Kind, das wild und laut schreiend von einer Ecke der Zeltwiese zur anderen rennt. Und wieder zurück. Ein Vater versucht das Kind einzufangen. Wenige Bahnen später gelingt dem Vater der goldene Griff und die gesamte Familie verzieht sich im Familien-Van.
Kind 1 fragt nebenbei, ob es im Auto nicht viel sicherer sei, als im Zelt. Die väterliche Intuition nickt zustimmend, ohne dabei die Ängste von Kind 1 zu übersehen. Wenige Augenblicke später sitzen wir ebenfalls im Auto. Kind 2 versucht Kind 1 mit einem „ch will aber im Zelt schlafen“ zur Rückkehr in die Schlafkabine zu bewegen. Nichts zu machen.
Im Auto nach Nirgendwo
So erzählen wir uns Geschichten und fühlen uns sicher. Nach einer Stunde Dauerregen muss ich meine Füße kurz bewegen. Der Fahrersitz bietet nicht unbedingt viel Platz, wenn dahinter Kind 2 im Kindersitz residiert. Mein linker Fuß bewegt sich 15 Zentimeter nach links. Oh Entspannung, da bist du ja. Kind 2 fängt an bis hundert zu zählen. Bei 19 unterbreche ich, denn irgendetwas hat meinen linken Fuß berührt. Kind 1 und 2 können es nicht sein, die sitzen auf der Rücksitzbank. Im Auto herrscht angespannte Stille. Pssst. Leise. Was ist das? Da, schon wieder. Plop. Ein Regentropfen fällt auf meinen Fuß. Mein Kopf überlegt kurz, ob das Fenster offen ist. Nein. Plop. Schon wieder. Ach so, das Auto ist undicht. Da hätte ich auch früher drauf kommen können. Wir hatten einen Urlaub mit viel Abenteuer vereinbart. Gewitter, Blitzeinschlag und ein undichtes Auto sind ein guter Anfang.
Hallo, wer schläft da?
Die dauerhaften Blitze sind so hell, dass wir nicht einschlafen können. Also verlassen wir den Campingplatz und suchen einen Ort für die Übernachtung. Unsere Ansprüche sind gering. Im Idealfall finden wir einen Parkplatz unter einem Dach, so dass es nicht die ganze Nacht ins Auto regnet. Und dunkel sollte es auch sein. In einem verlassenen Industriegebiet werde ich fündig. Hier ist nichts los. Das leicht überstehende Dach des Gebäudes schützt das halbe Auto vor dem Regen. Perfekt. Kind 2 ist bereits während der Fahrt eingeschlafen. Kind 1 klettert nach vorne auf den Beifahrersitz und schläft dort unruhig weiter. Und nun sitze ich da: In einem verlassenen Ort, in einem verlassenen Industriegebiet und fühle mich verlassen. Die Verlassenheit hat einen Namen: Tengen. Irgendwo in der Nähe des Bodensees. Wer sich verlassen und einsam fühlen möchte: Tengen ist der geeignete Ort. In dieser Nacht habe ich viel Zeit. Ich frage mich, ob das was ich da gerade mache, ein Jobprofil ist, auf das ich mich bewerben könnte. Wie könnte das Berufsbild heissen? Es soll ja Menschen geben, die eine Couch einsitzen. Als Beruf. Vielleicht Autositzeinsitzer auf selbständiger Basis?
Ich bin wohl kurz eingenickt, als mich der Lichtkegel einer Taschenlampe weckt. Mitten ins Gesicht. Eine seltsam dunkle Gestalt ermuntert mich wild gestikulierend das Fenster zu öffnen. Auf meinen fragenden Blick hin dreht sich der Mann um und geht etwas in die Knie. Da steht in Großbuchstaben: ZOLL. Ich öffne das Fenster einen kleinen Schlitz. Könnte immer noch ein Fake sein. Der Mann dreht sich erneut um und fragt, was ich denn hier mit dem Kind mache. Ich entgegne, dass ich 2 Kinder im Auto habe und erzähle ihm vom Gewitter, vom Campingplatz und so weiter. Natürlich glauben sie mir nicht. Der zweite Mann und die dritte Frau treten in mein Blickfeld und gucken mich mitleidig an. Sie merken, dass ich gerade wenig Interesse an einem Gespräch habe. Nach Überprüfung der Personalien und dem Wecken der Kinder empfehlen sie mir gegenüber vor einem anderen Gebäude zu parken. Danke dafür.
Gut getarnt: Das Zollgebäude in Tengen
Licht an
In den nächsten beiden Stunden herrscht reger Zollverkehr. Zivilfahrzeuge und Zollbusse wechseln sich ab. Bei jeder An,- und Abfahrt eines Fahrzeugs erhellen Baustrahler das Gelände. Nicht nur das Gelände. Unser Auto gegenüber wird direkt von den Baustrahlern erfasst. Ich überlege kurz nackt zu schlafen, als Abschreckung sozusagen, damit sie endlich diese Strahler abschalten. Ich besinne mich aber. Durchhalten. Es ist 3 Uhr nachts. Das Unwetter ist vorbei. Der Campingplatz öffnet erst um 8 Uhr morgens. So bleiben mir weitere 5 Stunden intensiven Nachdenkens.
Ein Tag voll Sonnenschein
Um 6 Uhr fahre ich auf der Suche nach einem Kaffee die verlassenen Dörfer in und um Tengen ab. Eine Gegend, in der die Ortschaft am meisten Ansehen geniesst, die entweder einen Aldi oder einen Lidl als Einkaufsmöglichkeit bietet. Verrückt. Eine wunderschöne Landschaft, in der die einzige Endung von Ortsnamen „en“ zu sein scheint. Tengen, Engen, Singen, Gottmadingen, …
Um 7.30 Uhr fahren wir glücklich, mit Kaffee, zurück zum Campingplatz. Es ist ein schöner Tag. Bereits um 10 Uhr zeigt die Temperatur gefühlte 35 Grad an. Die Kinder entscheiden sich für die Attraktion, die morgens zuerst öffnet. Das Spielezelt. So stehen wir um 9 Uhr in einem Getümmel von Hüpfburgen, Rollrutschen, Tischtennisplatten und anderen Kindern. Mein erster Moment der Ruhe. Kind 1 und 2 sind bespielen alles, während ich übernächtigt in einem unbequemen Stuhl sitze und scheinbar halluziniere. Von überall in diesem Zelt gucken mich böse Gesichter an. Getarnt als Lautsprecher.
Gesichter. Überall Gesichter.
Ich wache ständig von meinem abnickenden Kopf wieder auf. Ein Teufelskreis. Dann habe ich es doch geschafft. Ich schlafe. Mindestens 25 Sekunden, ehe mich ein zweistimmiges „SCHWIMMBAAAAAAAD“ in den Stand schreit. Kind 1 und 2 haben sich einen kleinen Scherz erlaubt. Haha, witzig. Das Hallenbad glänzt mit einem nierenförmigen Schwimmbecken und kleinem Whirlpool. Vor der Sonne geschützt tauchen wir vor uns hin. Der Hunger treibt uns zum Mittagessen. Die Kinder sind enttäuscht, dass es so lange dauert Wasser zum Kochen zu bringen. „Papa, ich dachte die Popambaflasche ist extra fürs Kochen, warum ist die dann so langsam?“, fragt Kind 2. Kind 1 fügt im Sekundentakt ein „Ich habe Hunger“ hinzu. Nach dem Essen geht es wieder ins Schwimmbad. Beim anschließenden Minigolfspiel hören wir ab Loch 7 auf, die Schläge zu zählen. Wir spielen aus Spaß, nachdem Kind 1 an Loch 7 die Führung abgeben musste. Alles gut.
Abendessen. Um 20 Uhr gehen wir noch mal ins Schwimmbad, ehe wir gegen 22 Uhr erschöpft ins Bett fallen. Was für ein schöner Tag.
Stachelige Angelegenheit
Am nächsten Morgen genießen wir unser Frühstück und beschließen noch einen Tag länger bis Freitag zu bleiben. Natürlich ist mir nicht entgangen, dass auf der Wiese sehr viele Bienen unterwegs sind. Eine sitzt sogar auf der Schulter von Kind 1. Eine schnelle Kopfbewegung zur Seite reicht aus, und ein lautes „Auuuaaaaaaa, die Biene hat mich gestochen“ weckt die restlichen Campinggäste. Reißverschlüsse gehen auf, neugierige Gesichter blicken in unsere Richtung. Wir besorgen beim Restaurantbesitzer des Platzes eine Zwiebel und legen sie auf den Stich. Bei 37 Grad und unstillbarem Tatendrang natürlich nur kurze Zeit machbar.
Aua Aua Aua
Nach dem Mittagessen startet unsere Tour erneut: Spielezelt und anschließend Schwimmbad. Ich werfe die Kinder abwechselnd in die Luft und einen Rückwartssalto später tauchen sie ins Wasser ein. Einige Male landen sie auch auf dem Bauch. Nicht schlimm. Kind 2 belagert mich und bittet um einen weiteren Wurf. Während ich werfe kommt von hinten Kind 1 weinend angeschwommen. Es ist ausgerutscht und der Kopf tut unglaublich weh. Aua. Aua. Bei genauem Betrachten fällt mir auf, dass sich der Kopf langsam rot färbt.
Wir verlassen das Wasser und ich untersuche den Kopf. Da, ein Riss, eine Platzwunde. Ich rufe den Notarzt, da ich mich nicht in der Lage sehe, die Situation mit beiden Kindern und in Badeshorts alleine zu bewältigen. Das Auto weit entfernt. 20 Minuten und ein blutiges T-Shirt später treffen 3 Rettungskräfte ein. Mit einer Kochsalzlösung versucht der Notarzt die Wunde ausfindig zu machen. Ich helfe ihm. Kind 1 ist wirklich tapfer und lässt die Prozedur über sich ergehen.
Natürlich blutet es wieder, als die Wunde gefunden ist. Der Notarzt empfiehlt uns die nächsten 24 Stunden im Krankenhaus zu verbringen. Einerseits um die Wunde zu versorgen und andererseits um eine mögliche Gehirnerschütterung sofort behandeln zu können. Wir hatten solche Situationen bereits häufiger. Ich frage nach, ob man uns nicht zum nächstgelegenen Arzt fahren kann, damit die Wunde dort genauer untersucht werden kann.
Kurze Zeit später sitzen wir bei einem netten Arzt in Nirgendwo. Irgendwo. Als Vater in Ausbildung habe ich an Süßigkeiten gedacht, um Kind 1 zu motivieren. Laut Aussage des Arztes muss die Wunde nicht einmal geklebt werden. Ich frage vorsichtig nach, ob er die Wunde überhaupt gefunden hat. Ich zeige ihm vorsichtig die Stelle. Daraufhin wäscht er die Wunde, um kurz darauf zu konstatieren: „Das müssen wir nähen“. Kind 1 ist weiterhin tapfer und der kleine Schockzustand hilft dabei. Ich bin mit Sicherheit ein total schwierigier Vater, denn ich frage den Arzt erneut, ob das wirklich genäht werden muss, oder ob kleben nicht ausreichend wäre.
„Ich zeige Ihnen, warum die Wunde genäht werden muss“, entgegnet er mir. Ein kleines Blutgefäß ist beschädigt. Das Blut spritzt in einem Bogen und pulsiert glücklich im Pulsschlag von Kind 1 aus diesem heraus. Ähm ja, ich kann wirklich viel sehen und verarbeiten, aber das ertrage ich nicht lange.
Platzwunde erfolgreich genäht
Selbstverständlich hat der Arzt Recht und darf sofort mit dem Nähen beginnen. Doch zuvor kommt die Betäubung. Zwei Spritzen in die offene Wunde. Durch das eingespritzte Betäubungsmittel entsteht sofort eine riesige Beule. Kind 1 ruft zwei Mal „Aua“ und das wars. Das anschließende Nähen spürt Kind 1 nicht mehr.
Kind 2 moniert, dass das doch alles sehr langweilig sei und wann wir denn wieder Schwimmen gehen können. Kind 1 betrachtet die Nadel, mit der die Wunde genäht wurde. So langsam kehrt auch wieder die Farbe ins Gesicht zurück. Wir haben es geschafft. Besser gesagt Kind 1 hat es geschafft. Der Arzt verordnet die nächsten 8-10 Tage Ruhe und Schwimmbadverbot. Und das in den Sommerferien. Die gute Nachricht ist jedoch, dass wir nach Hause fahren dürfen und nicht ins Krankenhaus müssen.
Zurück am Campingplatz brechen wir die Zelte ab (welch schlechtes Wortspiel) und fahren nach Hause. Aus den Boxen dröhnt „Rotz ´n´Roll Radio“. Fast so, als wäre nichts gewesen.